Gerade ruft mich Uwe an, von seinem Handy. Wie selbstverständlich begrüßen wir uns, reden rund eine halbe Stunde, erzählen uns von unserem Tag. Uwe berichtet von einer Reise. Nach Hannover ist er heute gefahren, auf Einladung von alten Bekannten, aus anderen Zeiten, Menschen mit anderem Hintergrund, anderen finanziellen Mitteln, aber einer Verbindung zu Uwe, die sie so langsam wieder herstellen möchten. Uwe möchte nicht, dass ich Einzelheiten mit Euch teile, deshalb belasse ich es bei dieser Umschreibung. Aber er ist aufgerüttelt und bewegt, vieles erinnert ihn, gleichzeitig ist er mit seiner Vergangenheit und einer neuen Zukunft konfrontiert.
Ganz munter klingt er. „Es war wirklich herrlich, dieser Tag. Kurz haben wir uns gestritten, weil einfach zwei Welten auf einander geprallt sind und wir uns erst wieder verstehen müssen. Aber alles in allem muss ich sagen, Ole, es geht mir blendend.“ Neben mir sitzt meine Freundin und beobachtet mein Gesicht. Ihr fällt zuerst auf, wie unwirklich das alles wirkt, wie selbstverständlich Uwe von sich erzählt, sein Leben gestaltet.
Ich versuche, mich an den ersten Tag zu erinnern. An die ersten Wochen. An die Geschichten aus Uwes Vergangenheit und den Weg bis heute. Zuletzt hat Uwe mich vermehrt ermahnt, ich solle doch mal wieder „für meine Leute da draußen“ etwas schreiben. Immer mal wieder schaut Uwe in der Drogen-Anlaufstelle „Drop-In“ im Netz auf meinen Blog und schaut nach. Manches versteht er nicht ganz, sagt er. Wenn ich so rumlabere, so halb wissenschaftlich. Aber er würde sich doch sehr freuen, wenn man mal wieder etwas von ihm mitbekäme.
Recht hat Uwe. Ein Projekt, das als Blog und Online-Spendenaufruf begann, vermittelt bei langem digitalen Schweigen schnell den Eindruck, Stillstand sei eingekehrt. Dabei ist alles andere der Fall. Uwe geht seine Schritte, teilweise mit großen, langsamen Bewegungen, manchmal in schnellen hastigen.
Er stolpert und steht wieder auf. Zuletzt hat Uwe viele Stunden auf dem Fußballplatz gearbeitet, um seine vielen kleinen Geldstrafen (vorwiegend vom Schwarzfahren) aus der Vergangenheit abzuarbeiten.
Der Job gefiel ihm gut, der Boss war nett, fast stand ein eigener Platz zum Pflegen für Uwe in Aussicht. Ich war stolz auf Uwe, doch irgendwann kam dann doch der Dickkopf durch. Uwe bezahlte seine verbleibende Strafe von seinem wenigen Geld, nun fehlt es ihm. Und doch war es offenbar wichtig für ihn, diese Entscheidung selbst treffen zu können, um mit der Vergangenheit der vielen kleinen Strafen abzuschließen und neue Schritte zu gehen.
Morgen trifft sich Uwe wieder mit Anna. Die beiden haben zuletzt viele kleine Dinge für die Wohnung eingekauft. Shampoo, Klopapier, was man eben so braucht. Eine Zahnbürste fällt ja bekanntlich bei Uwe nicht darunter, dafür aber eine Mehrfachsteckdose. Und eben etwas Guthaben fürs Handy, damit Uwe sich melden kann, wenn ihm danach ist. Und das tut er. Fast täglich bekomme ich eine SMS, hin und wieder auch Freunde aus Hamburg, die Uwe nun auch schon kennengelernt haben. Rund sechs Menschen aus Hamburg und Berlin kontaktiert Uwe regelmäßig, holt sich Rat, verabredet sich oder erzählt einfach nur von sich.
Das Geld, das Uwe monatlich erhält, reicht auch heute noch nicht ganz, immer wieder verkalkuliert sich Uwe – oder kalkuliert eben gar nicht, sondern lebt einfach in den Tag hinein. Dennoch bleibt Uwe dran und ermahnt sich wutschnaubend selbst: „Ich bin doch nun schon fast 50, Ole. Irgendwann muss ich das auch mal lernen und das will ich auch und werde ich auch“.
Eine Kalkulation jedoch hat Uwe genau auf dem Schirm: Sein Drogen-Substitut Polamidon. Auf rund 5 Meter konnte Uwe bis heute reduzieren, als ich ihn kennen lernte, waren es 24.
Wenn ich daran denke, ermahne ich mich selbst. Dazu, nicht alles als zu selbstverständlich anzunehmen. Uwes Situation, diese Beziehung zu ihm und dieses Geschenk, das darin verborgen liegt. Sondern auch einmal inne zu halten und mich zu fragen: Was ist da passiert. Mit wem redest du da? Wer ist dieser Mensch?
Uwe ist das.